Naturgefahren-Prävention mit der BIM-Methode
Building Information Modeling (BIM) setzt sich in der Planungs- und Baubranche durch und wird diese grundlegend verändern. Dank optimierter Prozesse und neuen Technologien kann die BIM-Methode auch das naturgefahrensichere Bauen fördern – so die Erkenntnis eines neuen Forschungsprojekts. Das digitale Bauwerksmodell als zentrale Informationsquelle und automatisierbare Modellprüfungen unterstützen den Gebäudeschutz vom frühen Entwurf bis in den Betrieb. Weil sich auch technische Planungsfragen in frühere Phasen verschieben und ein interdisziplinäres Team erfordern, werden Ingenieure vermehrt schon die Vorstudien aktiv mitgestalten können. Dabei sind insbesondere die neuen Möglichkeiten für Simulationen interessant, welche den Planungsprozess begleiten und optimieren. Doch die Standardisierung bleibt eine Herausforderung, denn ein offener und in beide Richtungen reibungslos funktionierender Datenaustausch zwischen BIM- und Fachsoftware z.B. für Hochwassermodellierungen ist noch zu entwickeln.
Planen und Bauen mit Naturgefahren
Die Datengrundlagen, Normen und Planungshilfen für das naturgefahrensichere Bauen sind vorhanden und grundsätzlich auch ohne BIM erfolgreich einsetzbar. Leider werden Naturgefahren oft zu spät erkannt, sodass Schutzmassnahmen nachträglich in bereits fortgeschrittene Bauprojekte hinzugefügt werden müssen. Solche Planungsänderungen verursachen Mehrkosten und sind bezüglich Gestaltung und Zuverlässigkeit meist unbefriedigend. Denn ein schlecht konzipierter Entwurf lässt sich nicht schönrechnen. Entscheidend ist der frühzeitige Einbezug der Naturgefahren in die ersten Entwürfe, damit der Gebäudeschutz gut und günstig ins Gesamtkonzept einfliessen kann. Geschieht dies zu spät, besteht kaum noch Spielraum für einfache, planerische Lösungen. Niveauanpassungen für den Hochwasserschutz der Tiefgarage oder Sperrzonen für Erdbebenwände plant man folglich am besten schon ab dem frühen Entwurf laufend mit. Im Idealfall sind Gebäude dank guter Konzeption und baulichen Schutzvorkehrungen so permanent und ohne menschliches Zutun zuverlässig geschützt. Wo dies nicht möglich ist, braucht es in Ergänzung eine gute Notfallorganisation und mobile Schutzvorkehrungen, um eine der Nutzung angemessene Schutzfunktion zu erzielen: Dies erfordert klar geregelte Verantwortlichkeiten, Schulung und regelmässige Übungen sowie Wartung und Unterhalt der Schutzsysteme – und bedeutet zusätzlichen Aufwand im Betrieb.
Potential von Building Information Modeling im Umgang mit Naturgefahren
Ein kürzlich abgeschlossenes Forschungsprojekt «Optimierter Gebäudeschutz vor Naturgefahren mit BIM» hat das Potential der BIM-Methode (auch virtual design and construction VDC genannt) für den Gebäudeschutz vor Naturgefahren in methodischer und technischer Hinsicht untersucht:
- Wie funktionieren die Prozesse einer risikooptimierten Planung bei Anwendung der BIM-Methode?
- Welche technischen Hilfsmittel können das naturgefahrengerechte Planen und Bauen unterstützen?
- Wo sind die Grenzen automatischer Modellprüfungen und wie könnten Simulationen mit digitalen Bauwerksmodellen verknüpft werden?
Dabei wurden optimale Prozessabläufe am Beispiel der Naturgefahren Hagel, Hochwasser, Erdbeben und Steinschlag identifiziert und in Prozessdiagrammen beschrieben. Zudem wurden Prototypen entwickelt für den Transfer von Gefahreninformation aus GIS-Systemen in BIM-Modelle sowie für planungsunterstützende Qualitätsprüfungen am digitalen Bauwerksmodell.
Lebenszyklusbetrachtung und Optimierung des Gebäudebetriebs
Analog zum nachhaltigen Bauen steht bei Anwendung der BIM-Methode der gesamte Lebenszyklus eines Bauwerks im Fokus, inklusive des meist jahrzehntelangen Betriebs bis hin zum Rückbau. Denn speziell für die Optimierung der Prozesse im Betrieb und die Förderung der Kreislaufwirtschaft bietet BIM enormes Potential. Über die Lebensdauer eines Gebäudes betrachtet, dominieren die im Betrieb anfallenden Kosten die Aufwände für die Planung und Realisierung um ein Vielfaches. Deshalb sind gerade die neuen Möglichkeiten für die datengestützte Betriebsoptimierung für Investoren und Bauherrschaften ein ausschlaggebendes Argument, um BIM zu bestellen. Bauherren nehmen dabei eine aktive und wichtige Rolle ein, denn sie müssen bereits zu Projektbeginn die Ziele und Leistungsmerkmale des Gebäudes im angestrebten Endzustand genau beschreiben können. Zu dieser vermehrt geforderten «Bestellerkompetenz» gehört insbesondere die Definition der Informationsanforderungen an das Gebäude und an dessen «digitalen Zwilling» (engl. «digital twin»). – Welche Entscheidungen und Weichenstellungen sind beim naturgefahrensicheren Bauen besonders wichtig? Und welche Informationen braucht es, um den Gebäudeschutz vor Naturgefahren langfristig gewährleisten zu können?
Neue Chancen für den «Risiko-Dialog»
Der Fokus auf die Bewirtschaftung gibt auch Risiken mehr Gewicht, welche über die Lebensdauer eines Gebäudes zu einer Personengefährdung oder einem Betriebsunterbruch führen könnten. So werden seltene, 300-jährliche Naturereignisse offensichtlich zu einem betriebsrelevanten Thema, denn bereits im Zeitraum von 50 Jahren erhöht sich die effektive Eintrittswahrscheinlichkeit eines solchen Naturereignisses auf immerhin 15 %. Bei der Planung mit BIM könnte sich der von Naturgefahrenexperten seit langem geforderte «Risikodialog» endlich in der Praxis etablieren. Dabei entscheiden Bauherrschaft und Planer unter Einbezug sämtlicher Risikoträger in der strategischen Planung oder den Vorstudien, ob die Schutzziele gemäss den Normen SIA 261 und SIA 261/1 ausreichend sind oder ob diese für die beabsichtige Nutzung angepasst werden müssen. Hat beispielsweise ein Betriebsunterbruch grosse Konsequenzen, können höhere Schutzziele sinnvoll sein. Letztlich sind für die Betriebsphase optimierte Lösungen gesucht, welche den Anforderungen und Möglichkeiten der Gebäudenutzer und ‑Betreiber bestmöglich entsprechen und zugleich die Risiken für Eigentümer und Investoren minimieren. Unterstützt wird der Risikodialog durch die tendenziell interdisziplinärer zusammengesetzten Planungsteams und die vermehrt datenbasierte Vorgehensweise beim Planen von Neu- und Umbauten.
Integrierte Planung am digitalen Zwilling
Gute planerische Lösungen beruhen auf guten Entscheidungen. Für gute Entscheidungen wiederum braucht es solide Daten. Hier kommt das digitale Bauwerksmodell (DBM) ins Spiel, das verknüpft mit der nötigen Intelligenz den Planungsprozess unterstützt. Das digitale Bauwerksmodell ist weit mehr als ein dreidimensionales Abbild des Gebäudes, die entscheidenden Qualitäten von BIM liegen im «I»: Sämtliche Informationen betreffend Risiken, Schutzzielen und Schutzmassnahmen können zentral im digitalen Bauwerksmodell festgehalten und mit externen Daten vernetzt werden. So sind planungs- und betriebsrelevante Informationen nicht nur zentral gespeichert und direkt mit den Geometrien von Gebäudeteilen, Räumen sowie einzelnen Bauteilen verknüpfbar, die strukturierte Datenhaltung macht diese Informationen auch maschinell auswertbar. Ergänzt mit der Logik sogenannter Prüfregeln, kann das Bauwerksmodell auf verschiedenste Sachverhalte überprüft werden – auch hinsichtlich Naturgefahren. Um die besonders relevante Gefährdungsinformation bereits zu Projektbeginn greifbar zu haben, wurde im Forschungsprojekt ein Prototyp entwickelt zur Übertragung dieser Information aus GIS-Daten in das IFC-Format.
Planungsunterstützende Modellprüfungen und Simulationen
Speziell in den frühen Planungsphasen und beim Übergang zwischen den Phasen können Modellprüfungen auf wichtige Fragen und Abklärungen aufmerksam machen, die Vollständigkeit und Konsistenz von Informationen prüfen und auf Schwachstellen hinweisen. Solche formalen Prüfungen fragen beispielsweise nach der Aktualität von Gefahreninformation, ob und welche Schutzziele definiert sind und ob ein Schutzkonzept vorliegt. Im erwähnten Forschungsprojekt wurden ausgehend von den wichtigen Entscheidungen im Planungsprozess auch weiterführende Prüfregeln fachlich beschrieben, anschliessend in einer systemneutralen Form in Prüfalgorithmen übersetzt und letztlich die Implementierbarkeit mit der Modellprüfungssoftware «Solibri» erprobt. Dieser letzte Schritt wurde für die Naturgefahren Hagel und Hochwasser durchgeführt, wie das folgende Video zeigt.
Prüfregeln für die modellbasierte Planung bezüglich Hagel und Hochwasser
In Zusammenarbeit mit der Firma IDC AG wurden anhand eines fiktiven Beispiels Prüfregeln bezüglich Hagel und Hochwasser mit der Modellprüfungssoftware Solibri erprobt.
Hagelschutz modellbasiert überprüfen
Für den Schutz vor Hagel müssen alle aussenliegenden Elemente von Dach und Fassade entsprechend robust ausgestaltet und die Storen im Ereignisfall hochgezogen sein. Zur Überprüfung des Hagelwiderstands eines Bauteils können über die Eigenschaft «IsExternal» die aussenliegenden Elemente am Gebäude selektiert (Objektselektion) und anschliessend entweder der Materialtyp oder der ebenfalls als Eigenschaft hinterlegte Hagelwiderstand ausgewertet werden. Damit der Hagelwiderstand von Bauprodukten möglichst einfach und in der richtigen Struktur im digitalen Bauwerksmodell hinterlegt wird, bietet sich eine Vernetzung des Hagelregisters mit Bauteilkatalogen wie Buildup an. Wählt man in der Autorensoftware ein entsprechendes, hagelgeprüftes Produkt aus diesem Katalog, z.B. eine Lichtkuppel, ein Solarpanel oder eine Dämmplatte, wird der Hagelwiderstand als semantische Produktinformation direkt in das BIM-Modell übernommen.
Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig die Standardisierung ist, um Leistungsmerkmale von Bauteilen im digitalen Bauwerksmodell abbilden und maschinell auswerten zu können. Damit beim Aufbau des Bauwerksmodells möglichst wenig Zusatzinformation manuell hinzufügt werden muss, sind bereits vorhandene Standards und Schnittstellen zu nutzen. Diesbezüglich besonders relevant sind das Datenaustauschformat Industry Foundation Classes (IFC 4.x, SN EN ISO 16739) sowie für die Zuordnung von Begriffen und Wertebereichen den buildingSMART Data Dictionary (bsDD gemäss SN EN ISO 12006‑3).
Hochwasserschutz: modellgestützte Überprüfung von Schwachstellen
Zum Schutz vor Hochwasser und Oberflächenabfluss ist es essentiell zu wissen, bis auf welche Höhe das Gebäude geschützt werden muss. Diese Information kann man aus Fliesstiefenkarten ableiten, wobei auch Höhenzuschläge je nach Bauwerksklasse und Anströmung am Gebäude zu berücksichtigen sind (siehe «Wirkungshöhe» gemäss Norm SIA 261/1 und Wegleitung SIA 4002). Um direkt am digitalen Bauwerksmodell potentielle Eintrittsstellen von Wasser identifizieren zu können, wurde der Überschwemmungsbereich als Volumenkörper in das IFC-Format transformiert. Mit dieser einfachen Massnahme kann der Überflutungsbereich direkt im virtuellen Abbild des Gebäudes dargestellt werden, was die Kommunikation und das Eruieren von Lösungsvarianten vereinfacht. Zudem lässt sich mit einem geometrischen Verschnitt überprüfen, welche Bauteile im Überflutungsbereich liegen und ob auch Öffnungen wie z.B. Türen, Fenster, Lichtschächte oder Lüftungsöffnungen betroffen sind. In einer idealen Planung könnten solche Prüfungen laufend für verschiedene Varianten automatisch durchgeführt werden, wodurch sich Bestvarianten einfacher erkennen lassen.
Möglichkeiten und Grenzen von Modellprüfungen und Simulationen
In der Theorie kennen Modellprüfungen und datengestützte Optimierungen von Gebäuden und Infrastrukturbauten kaum Grenzen. Sie beschränken sich auch nicht auf die Planung, sondern sind in der Realisierung und während der Bewirtschaftung ebenso nützlich. Beim Übergang von einfachen Kollisionsprüfungen, der Aggregierung von Kennzahlen oder dem Vergleich verschiedener Eigenschaften von Bauteilen und Raumstrukturen hin zu dynamischen Betrachtungen nimmt die Komplexität jedoch stark zu.
Weil auch die Form des Gebäudes und insbesondere die Umgebungsgestaltung den Überflutungsbereich mitbeeinflussen, sollten die ausgesprochen präziseren Geometriedaten aus BIM-Modellen auch in Überflutungssimulationen einfliessen. Im Vergleich zu den üblicherweise in GIS-Software verwendeten Höhenmodellen sind solche auf Vektordaten basierende Geometrien wesentlich genauer. So liesse sich einerseits die Wirkungshöhe am Gebäude und andererseits auch eine allfällige Mehrgefährdung benachbarter Grundstücke besser quantifizieren.
Standards und Modellierungsrichtlinien für den bidirektionalen Datenaustausch
Die umfangreichen Geometrie- und Sachdaten ermöglichen auch den Einbezug von Simulationen für die Planung und Nachweisführung. Sind die Eingangs- und Ausgangsdaten solcher Simulationen über definierte Schnittstellen und in klar strukturierter Form austauschbar, werden auch komplexe Modellierungen zu einem höheren Grad automatisierbar und können somit direkter an den Planungsprozess angebunden werden. Voraussetzung für solche direkt an ein BIM-Modell gekoppelten Hochwassersimulationen ist ein standardisierter und somit möglichst automatisierbarer Datenaustausch zwischen der BIM-Welt und der entsprechenden Fachsoftware. In diesem Bereich besteht eindeutig weiterer Forschungsbedarf. Dass die Daten in standardisierter Form vorliegen und sich die Prüfregeln flexibel an den jeweiligen Anwendungsfall anpassen lassen, ist für die Umsetzbarkeit von Modellprüfungen entscheidend.
Forschungsprojekt «Optimierter Gebäudeschutz vor Naturgefahren mit BIM» (2019-2021)
Wie BIM den Gebäudeschutz vor Naturgefahren verbessern kann, wurde in einem Forschungsprojekt der Präventionsstiftung der Kantonalen Gebäudeversicherungen und unter der Leitung des Instituts Digitales Bauen der FHNW untersucht. Weiter beteiligt waren die Hochschule für Technik und Architektur Freiburg, das Institut für Facility Management der ZHAW sowie Experten aus der Privatwirtschaft.
Anwendungsfall Naturgefahren des Innosuisse-Projekts «GEOL_BIM» (2020-2022)
Der Anwendungsfall Naturgefahren / permanente Rutschungen des Innosuisse-Projekts «GEOL_BIM» untersucht die möglichen Vorteile der BIM-Methode für den Schutz vor permanenten Bodenbewegungen. Die massgebenden Gefährdungsbilder sind primär Verkippungen, Verwindungen und Setzungen infolge erhöhten Erddrucks und differentieller Bodenbewegungen. Analog zu Hochwasser und anderen Massenbewegungen sind auch bei permanenten Rutschungen die Standortwahl, die Anordnung des Gebäudes auf dem Grundstück sowie die konzeptionell-bauliche Ausbildung des Gebäudetragwerks besonders entscheidend, um eine möglichst langfristige Nutzung ohne Schäden und Reparaturen zu ermöglichen. Dabei spielen nebst einer frühzeitigen Auseinandersetzung mit den möglichen Einwirkungen und Schutzkonzepten auch die Qualität der Gefahrenbeurteilung eine zentrale Rolle. Denn je mehr Informationen über das aktuelle Verhalten des Rutschkörpers und mögliche Veränderungen über die Zeit vorliegen, umso besser lässt sich ein Bauwerk auf die zu erwartenden Einwirkungen ausrichten:
- Auf welche Bewegungsraten muss man sich einstellen?
- Wie sehen die Bewegungsmuster im Umfeld aus?
- Wie tief liegt der Gleithorizont?
- Wie gross ist das Risiko einer Beschleunigung / Reaktivierung der Rutschung und welches sind die auslösenden Faktoren?
Im Anwendungsfall Naturgefahren von GEOL_BIM wird die Rolle der Behörden und der kontinuierliche Einbezug von Prozess- und Schadendaten in die Gefahrenbeurteilung vertieft untersucht. Das Gesamtprojekt GEOL_BIM wird im Frühjahr 2022 abgeschlossen.
Veranstaltung an der Swissbau 2022 zum Projekt GEOL_BIM
Referat in der Session GEOL_BIM am GEOSummit vom 23. Juni 2021
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